Der Präsident des Venezolanischen Roten Kreuzes, Dr. Luis Farias, war am 10. und 11. Juni 2025 auf Einladung von Christof Johnen, Leiter für Internationale Zusammenarbeit im DRK-Generalsekretariat, zu Besuch in Berlin. Anlass war der Austausch über die weitere internationale Zusammenarbeit und mögliche Unterstützungsprogramme für das Venezolanische Rote Kreuz. Auf der Agenda von Farias stand außerdem die Erkundung von Möglichkeiten zur Einkommensgenerierung für die nationale Rotkreuz-Gesellschaft in Südamerika.
Das Venezolanische Rote Kreuz (VRC) ist seit seiner Gründung 1895 eine tragende Säule in der humanitären Hilfe des südamerikanischen Landes. Mit 42 Kreis- und Landesverbänden in allen 24 Bundesstaaten, 8 Krankenhäusern und 34 Ambulanzen bildet es nach dem öffentlichen Gesundheitssystem das zweitgrößte Versorgungsnetzwerk Venezuelas. Über 4.000 Freiwillige und 1.600 Mitarbeitende erbringen Gesundheitsleistungen, Katastrophenhilfe und humanitäre Leistungen.
Das VRC ist Teil des nationalen Katastrophenschutzsystems, inklusive Bevölkerungsschutz und Feuerwehr, arbeitet eng mit Gemeinden zusammen und genießt großes Vertrauen in der Bevölkerung. Zu den Aufgabenbereichen gehören die Katastrophenvorsorge ebenso wie die integrierte Gesundheitsversorgung inklusive der Sicherung von Wasser, Hygiene und Ernährung sowie die Unterstützung und Reintegration von Migrantinnen und Migranten. Neben dem VRC sind auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) und das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Venezuela aktiv. Letzteres hat seit 2022 eine feste Vertretung im Land und betreibt direkte bilaterale Projekte mit dem VRC und dem Kolumbianischen Roten Kreuz.
Das VRC in der Krise
2023 kam es zu einer tiefen institutionellen Krise im Venezolanischen Roten Kreuz: Der langjährige Präsident Mario Villarroel, der das VRC jahrzehntelang geführt hatte, wurde durch ein Gericht abgesetzt. Eine vom Obersten Gerichtshof eingesetzte „Ad-hoc“-Leitung unter Ricardo Cusanno übernahm die Restrukturierung, modernisierte die Satzung und bereitete Neuwahlen vor.
Unterstützung durch das DRK und andere Partner
Während der Krise des VRC stimmte sich das Deutsche Rote Kreuz (DRK) eng mit der Deutschen Botschaft, den Partnern innerhalb der Bewegung und den Geldgebern ab, um die Kontinuität der Aktivitäten sicherzustellen. Schrittweise bekundeten weitere europäische Botschaften ihre Unterstützung für den Restrukturierungsprozess. Am 28. Juni 2024 konnten erfolgreich Neuwahlen abgehalten werden, bei denen der Anwalt und ehemalige Kommunikationsdirektor Dr. Luis Manuel Farias für eine Amtszeit von fünf Jahren zum neuen Präsidenten des VRC gewählt wurde.
Trotz der Turbulenzen liefen die Aktivitäten des VRC ununterbrochen weiter, einschließlich der Projekte mit dem IKRK und anderen Rotkreuz-Partnern. Zentrale Aufgabenbereiche wie die Erste Hilfe, die Jugend und Migrationshilfe und die Wiederherstellung familiärer Kontakte (Restoring Family Links, RFL) wurden Anfang 2024 personell neu besetzt.
Stabilisierung der Lage
Das VRC gewinnt auf nationaler wie internationaler Ebene seither wieder an Glaubwürdigkeit und positioniert sich in Venezuela zunehmend als zentraler humanitärer Akteur mit wachsender Anerkennung durch die Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und venezolanische Behörden. Dennoch bleiben Herausforderungen in dem komplexen Umfeld.
Farias, der seit 2019 selbst Rotkreuz-Freiwilliger ist, gilt als Vertreter einer jüngeren Generation. Mit engen Verbindungen in die venezolanische Wirtschaftselite konnte er das Ansehen des VRC verbessern und den Zugang zu staatlichen Entscheidungsträgern erleichtern. Trotz seiner noch jungen Führungserfahrung hat er als Netzwerker Akzeptanz bei Behörden, Zivilgesellschaft und internationalen Partnern geschaffen.
Internationale Zusammenarbeit als Schlüssel
Die internationale Zusammenarbeit spielte bei der Absicherung des VRC und seiner Aufgaben eine Schlüsselrolle: Das DRK unterstützt seit Jahren Projekte in der Basisgesundheitsversorgung, Katastrophenvorsorge und Freiwilligenarbeit, unter anderem mit Mitteln des Auswärtigen Amts und der EU / ECHO. Auch der Wiederaufbau der Kommunikationstechnik, gemeinsame Trainings mit dem Kolumbianischen Roten Kreuz (CRC) und binationales Krisenmanagement gehören dazu. Im Mai 2025 fand in Cúcuta ein gemeinsamer Workshop mit VRC, CRC, DRK, IKRK, IFRC, ECHO und der deutschen Botschaft statt.
Unter Farias wird das VRC wieder als verlässlicher humanitärer Akteur anerkannt. Dennoch bestehen Herausforderungen: Finanzielle Nachhaltigkeit, professionelle Strukturen und strategische Planungen sind nötig, um Programme langfristig fortzuführen.
Im Hinblick auf den Restrukturierungsprozess war es wichtig, mit der Einladung des VRC-Präsidenten ins DRK-Generalsekretariat in Berlin auch ein Signal zu setzen. Der Besuch von Farias auf dem DRK-Campus hat die gegenseitige Verpflichtung zur Zusammenarbeit und Unterstützung weiter gestärkt. Gemeinsame humanitäre Prioritäten und Ideen sowie die strategische Weiterentwicklung standen im Mittelpunkt der Gespräche. Dazu zählte auch der Austausch über künftige Projektanträge bei institutionellen Geldgebern, etwa im Rahmen der alle zwei Jahre für die Subregion Südamerika geöffneten Finanzierungslinie für Katastrophenvorsorge von ECHO, die entscheidend zur Stärkung des VRC in den Bereichen Preparedness, DRR und Anticipatory Action beitragen könnte.
Weiterer Ideenaustausch
Eine weitere Idee, die zusammen mit Farias diskutiert wurde, war die Unterstützung der Schwesternschule der VRC-Klinik durch die Einrichtung von Simulationsräumen. Im Zuge des Treffens nutzte Farias auch die Gelegenheit, die DRK-Schwesternschaft im Klinikum Westend zu besuchen. Daraus entstand die Anregung, in der Zukunft einen Austausch zwischen beiden Ausbildungszentren einzuleiten. Neben Gesprächen mit Christof Johnen, Leiter für Internationale Zusammenarbeit im DRK, und Marc-André Souvignier, Teamleiter Operations & National Societies Cooperation, war es sowohl für das DRK als auch für das VRC wertvoll, gemeinsam verschiedene Einrichtungen des DRK zu besuchen, um neue Impulse für Kooperationen und einen transnationalen Wissenstransfer zu ermöglichen. Zugleich bot der Besuch dem DRK die Gelegenheit, die gemeinsame Arbeit zu reflektieren und die aktuellen Herausforderungen im Zuge der Kürzungen der staatlichen und internationalen Fördermittel darzulegen.
Da das VRC aktuell noch stark auf externe finanzielle Unterstützung angewiesen ist, spielte das Thema Einnahmengenerierung eine zentrale Rolle beim Besuch des Präsidenten. Unter der Führung von Luis Farias prüft das Venezolanische Rote Kreuz derzeit Möglichkeiten, eine eigene Struktur nach dem Modell der DRK-Service GmbH aufzubauen. Diese könnte nicht nur die Landesverbände unterstützen – beispielsweise durch die zentralisierte Beschaffung von Freiwilligenuniformen, die derzeit häufig Probleme bereitet –, sondern auch dringend benötigte Einnahmen für die nationale Gesellschaft schaffen.
